Vom Flüchtling zum Mitbürger

Die Sorgen um die Familie bestimmen den Alltag

 

Lutz Kramer vom Arbeitskreis Asyl Griesheim im Interview mit einem syrischen Flüchtling 

 

Rami A. im Gespräch mit Lutz Kramer

Foto: AKA/Martina Roth 

 

Anfang Mai besuchte ich einen Syrer mit dem Namen Rami A. (Name wurde geändert). Wir hatten uns zu diesem Interview verabredet. Rami A., Anfang 40, ist Zahntechniker. Er hat vor zehn Tagen eine kleine Wohnung in Griesheim bezogen, die Einrichtung ist noch spärlich, es hängen keine Bilder an der Wand und einen Fernseher gibt es auch noch nicht. Nur das Handy ist am Strom angeschlossen und Rami schaut immer mal wieder auf das Display. Aktuell wartet er auf sehr wichtige Nachrichten aus der zerbombten Heimat. Seine Frau und seine drei minderjährigen Töchter, 15, 9, und 8 Jahre alt, sollen nach Jordanien fahren, die Deutsche Botschaft dort stellt die Visa für die Einreise nach Deutschland aus. Nun stell es sich heraus, dass Jordanien wohl ab sofort keine Syrer mehr in das Land lässt. Jetzt muss man sich etwas Neues überlegen.

 

Die Deutsche Botschaft in Damaskus ist schon seit einigen Jahren geschlossen. Auch der Weg nach Jordanien ist nicht ungefährlich. Auf einer Strecke von ca. 40 km herrschen auf der einen Seite der Straße die Al Nusra Brigaden und auf der anderen Seite der IS.

 

Das Interview haben wir in Englisch geführt.

 

LK: Warum sind Sie alleine nach Deutschland geflüchtet?

R: Die Situation in meiner Heimat wird immer bedrohlicher. Ich will, dass meine Familie eine Lebensperspektive hat. Meine Töchter sollen zur Schule gehen können ohne, dass wir Angst haben, sie kommen nie wieder nach Hause. Deutschland schien mir ein gutes Land zu sein, um hier mit meiner Familie zu leben. Ich bin den langen Weg alleine gegangen um zu schauen, ob wir hier eine Chance haben. Ich wollte nicht, dass meine Familie diese Strapazen auf sich nimmt, ohne eine Perspektive zu haben.

 

LK: Wie sind Sie geflüchtet, wie lange waren Sie unterwegs und was hat das gekostet?

R: Zu Wasser, in der Luft und auf dem Landweg. Insgesamt hat es drei Wochen gedauert, bis ich in Deutschland ankam. Ich habe praktisch unsere gesamten Ersparnisse aufgebraucht. Das waren rund 2.800 Euro.

 

LK: Wie lange sind Sie jetzt in Deutschland?

R: Seit neun Monaten; sieben Monate davon habe ich in der Gemeinschaftsunterkunft in der Griesheimer Bunsenstraße gewohnt.

 

LK: Wie haben Sie diese Wohnung bekommen und wovon leben Sie jetzt?

R: Diese Wohnung hat mir ein deutscher Freund vermittelt, darüber bin ich sehr froh. Allerdings wird sie zu klein sein, wenn meine Familie kommt. Ich bekomme Hartz 4, weil ich mittlerweile ein sogenannter "anerkannter Flüchtling" bin.

 

LK: Was sind Ihre nächsten Pläne?

R: Ich möchte meine Familie so schnell wie möglich nachholen. Außerdem mache ich gerade ein unentgeltliches Praktikum und darüber freue ich mich sehr. Nichtstun ist furchtbar!

 

LK: Wie gefällt es Ihnen in Deutschland und in Griesheim, haben Sie guten Kontakt zu Deutschen?

R: Hier gibt es keine Bomben, es ist ruhig. Die Menschen sind sehr nett und in Griesheim ist es sauber und die Leute sind sehr hilfsbereit. Ich mag auch die Pünktlichkeit und wenn etwas versprochen wird, wird das Versprechen auch gehalten. Der Verkehr ist so geordnet, die Autos sind toll. Die Natur ist wunderschön und ich genieße die Freiheit. Ja, ich bin schon mit drei Griesheimern hier befreundet und Syrer, die gut deutsch können, habe ich auch kennengelernt.

 

LK: Was ist hier für Sie besonders fremd? Woran können Sie sich schlecht gewöhnen?

R: Das Essen ist sehr anders und gewöhnungsbedürftig für mich. Und alles dauert so lange, ich warte ständig auf irgendwelche Papiere, will arbeiten und darf das nicht. Jetzt musste ich das Praktikum sogar unterbrechen, weil ich auf einen Termin beim Jobcenter warten muss. Es ist schwer für mich, die Bürokratie zu verstehen.

 

LK: Wie klappt es mit der deutschen Sprache?

R: Ich gehe jeden Nachmittag zur Sprachschule und es fällt mir immer leichter.

 

LK: Wollen Sie eventuell wieder zurück in die Heimat?

R: Sicher ist dies auch eine Perspektive. Wenn dort kein Krieg mehr herrscht und es sicher wäre. Dort haben wir ein Haus. Aber dies hängt auch davon ab, wie sich meine Familie hier zurechtfindet.

 

LK: Wie stellen Sie sich Ihr neues Leben in Deutschland vor und was erhoffen Sie sich für Ihre Familie?

R: Wenn meine Töchter hier zu Schule gehen und sich wohlfühlen, meine Frau zufrieden ist und ich meiner Arbeit regelmäßig nachgehen kann, kann ich mir hier gut ein Leben vorstellen. Ich möchte unbedingt auf meinen eigenen Füßen stehen, von niemandem abhängig sein. Ich arbeite gerne und möchte dies auch hier tun. Wenn meine Töchter durch die Schule deutsche Freunde finden, wäre das schön. Wir hoffen auf eine Wohnung, in der wir alle leben können und auf nette Nachbarn. Und natürlich, dass ich bald wieder meinen Beruf ausüben kann. Ich möchte auch etwas zurückgeben, ein Teil der Gemeinschaft werden. Meine Frau ist Lehrerin. Auch Sie möchte gerne arbeiten und wie ich höre, werden Lehrer ja hier gesucht. Meine Töchter sollen später gute Berufe ergreifen und auf ihren eigenen Beinen stehen. Gerne würde ich wieder Basketball oder Tischtennis spielen. Dies habe ich früher regelmäßig gemacht. Ich hoffe sehr, dass meine Familie bald hier eintrifft, ich für sie sorgen kann, kein Flüchtling mehr bin, sondern ein Mensch, wie jeder andere hier auch.

 

LK: Vielen Dank für das offene Gespräch.  

 

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