Willkommen in Griesheim

 

persönliche Chronik einer unvergesslichen Zeit -

von Bärbel Schmidt

 

 

Ganz schön überrascht erfuhr Bärbel Schmidt im Mai 2013, damals noch Sachgebietsleiterin des Wohnungsamts und der Obdachlosenbehörde der Stadt Griesheim, dass sie von der Bürgermeisterin, Gabriele Winter, zur sogenannten „Asylbeauftragten“ benannt worden war. Rüdiger Mey, den damaligen 1. Stadtrat, stellte Frau Winter ihr zur Seite. Er hatte schon im Vorfeld im Auftrag der Bürgermeisterin an entsprechenden Sitzungen teilgenommen. Oder wurde sie ihm zur Seite gestellt? Letztendlich gingen sie gemeinsam von Beginn an die neue Aufgabe unbürokratisch und engagiert an.

Zu Anfang war es nicht klar, ob oder wie viele Flüchtlinge nach Griesheim kommen und untergebracht werden müssten. Ja, „mussten“, denn der Landkreis Darmstadt-Dieburg teilte seinen Gemeinden die Geflüchteten zu. Die Stadt Griesheim nahm, davon abgesehen, die Herausforderung aus Überzeugung an.

Bereits im August 2013 wurden die ersten sieben Geflüchteten aus Somalia und Eritrea der Stadt Griesheim zugewiesen und zeitlich begrenzt in einer eiligst angemieteten Saisonarbeiterunterkunft eines Griesheimer Landwirtes untergebracht. Rüdiger Mey und Bärbel Schmidt übernahmen die Begrüßung der Angekommenen und versorgten die jungen Männer mit dem Nötigsten für die ersten Tage: Brot, Melone und Wasser.

Immer wenn die zuständigen Mitarbeitenden des Kreises ihren Aufgaben bei der Griesheimer Flüchtlingsunterbringung nicht nachkommen konnten, weil sie wegen Unterbesetzung heillos überlastet waren, sprangen Herr Mey und Frau Schmidt mit pragmatisch ein.

Im September 2013 folgten Caritative Vereine und Kirchen der Einladung der beiden Asylbeauftragten. Ein Arbeitskreis für die Flüchtlingsaufnahme sollte gegründet werden. Die Idee dazu entstand aus einer Frage bei einer diesbezüglich von der Bürgermeisterin einberufenen Pressekonferenz, wie die Stadt gedenke, die große Aufgabe anzugehen? Ob ein Arbeitskreis gebildet werde? Herr Mey und Frau Schmidt bestätigten, diesbezüglich schon tätig geworden zu sein. Nun gut, das stimmte nicht ganz, aber gleich darauf begannen die beiden mit der Planung.

Am Ende des oben genannten Treffes hatte sich bereits ein kleiner Kreis, bestehend aus Roselind Richter, der pensionierten Leiterin der Schillerschule, Gudrun Gäschenberger, ehemalige Entwicklungshelferin und Herrn Wissmann (?) vom ökumenischen Helferkreis, gebildet.

Frau Gätschenberger versuchte durch gemeinsame Spaziergänge durch die Griesheimer Gemarkung und durch die Stadt den Neuankömmlingen ihr zukünftiges Zuhause näherzubringen. Sie sollten es vom Grunde auf kennenlernen.

Derweil setzte sich Frau Richter für Deutschunterricht ein und unterrichtete teilweise direkt vor Ort in der Saisonarbeiterunterkunft.

Der Ökumenische Helferkreis packte überall dort mit an, wo es nötig wurde, und verschmolz teilweise mit dem Arbeitskreis zu einem gut funktionierenden Team.

Später kamen die Ehepaare Christel Johann-Eggers und Heinz Eggers sowie Jutta Koch und Wieland Eschenhagen dazu, die von Anfang an Verantwortung übernahmen und sich intensiv und nachhaltig für die Neubürger*innen Griesheims einsetzten.

Da es langsam kalt wurde und die Saisonarbeiterunterkünfte ab Januar wieder von Saisonarbeitern genutzt werden sollten, zogen die sieben jungen Männer Anfang 2014 in eine 3-Zimmer-Wohnung mit Balkon und Garten in der Hintergasse 1 a ein, die kurzerhand zu einer Gemeinschaftsunterkunft umfunktioniert worden war. So bekam auch das Ehepaar, das in der Wohnung nebenan wohnte, Gesellschaft und es entwickelte sich eine gut funktionierende Nachbarschaft.

Der Keller dieses Hauses diente ab sofort der Unterbringung von Sachspenden, da Bärbel Schmidt mittlerweile in Kisten und Kästen versank, die sich in ihrem Büro im Rathaus gestapelt hatten. Die Spendenfreudigkeit der Menschen in Griesheimer kannte keine Grenzen, so dass nach einer Lösung gesucht werden musste. Da kam der oben genannter Keller gerade Recht.

Einige Wochen später, nachdem ein bereits stillgelegtes städtisches Wohnhaus reaktiviert, grundgereinigt und mit gebrauchten Möbeln, Bettwäsche und Haushaltsartikeln ausgestattet worden war, zogen zwei vom Kreis der Stadt Griesheim zugewiesene Familien dort ein. Eine der beiden Familien war von der Flucht stark traumatisiert und die andere Familie hatte auf der Flucht ihren Sohn verloren. Nur zwei von vielen unfassbaren Schicksalen. Die Betreuung stellte für alle keine leichte Aufgabe dar.

Um weitere Helfende für den Arbeitskreis zu gewinnen und auch, die Geflüchteten den Griesheimer Bürgern näherzubringen, veranstalteten Rüdiger Mey und Bärbel Schmidt zusammen mit den Ehrenamtlichen und den bereits zugezogenen Neubürger*innen ein „Begrüßungsfest“ in der Grillhütte Süd, zu dem per Zeitung auch alle Griesheimer Bürger*inn und direkten Nachbarn der neu Zugezogenen eingeladen waren. Ein riesiges und leckeres Buffett mit Speisen aus Eritrea, Somalia, Äthiopien und Griesheim bereicherte zusammen mit dem Chor der Luthergemeinde und ihren afrikanischen Liedern das Fest. Tatsächlich meldeten sich in den Tagen darauf mehrere Menschen und boten Ihre Hilfe an.

Zwischenzeitlich war der Arbeitskreis Asyl auf 15 Freiwillige angewachsen, von denen sich einige Frauen um die Organisation der Verteilung der Sachspenden kümmerten. Eine große Entlastung für die Mitarbeiterin des Rathauses, die neben dem Wohnungsamt auch für die stärker wachsende Zahl von Flüchtlingen zuständig war.

Aufgrund regelmäßig, öffentlich stattfindenden Sitzungen des Arbeitskreises Asyl im Sitzungssaal C des Rathauses, fanden immer mehr Menschen aus Griesheim ihren Platz in den Teams des Arbeitskreises Asyl.

Rüdiger Mey und Bärbel Schmidt ergänzten sich von Anfang an sehr gut und arbeiteten Hand in Hand. Dabei kamen die guten Kontakte Herrn Meys zu Politik und Wirtschaft der Flüchtlingsarbeit sehr zugute. So durfte der Computerraum der Schillerschule außerhalb der Unterrichtszeiten kostenlos genutzt werden, um den ersten Neubürger*innen Griesheims nach dem offiziellen Schulbetrieb Deutschunterricht zu erteilen. Die in Kurse eingeteilten Unterrichtseinheiten waren sehr gut besucht. Neben Roselind Richter engagierte sich später auch Frau Jutta Koch, den Lernwilligen die deutsche Sprache beizubringen. Später kamen mehr und mehr ausgebildete als auch unausgebildete Lehrer*innen dazu, die ihr Wissen gerne weitergaben.

Inzwischen war in der Bunsenstraße 5 ein ehemaliges Bürogebäude, das ursprünglich als Studierendenwohnheim geplant war, zu einer Gemeinschaftsunterkunft für 150 Geflüchtete umgebaut worden. Kein leichtes Unterfangen für den Eigentümer, da die ehrenamtlichen Helfenden des Arbeitskreises Asyl nicht mit allen Umbaumaßnahmen und Planungen einverstanden waren. So entstanden z.B. nach zahlreichen verbalen und schriftlichen Auseinandersetzungen anstatt nur Zimmern für 1-3 Personen, auch zwei durch Verbindungstüren verbundene Räume, sogenannte Familienzimmer für mehrköpfige Familien. Die Toiletten bekamen endlich Türen und für genügend Gemeinschaftsräume war letztendlich auch gesorgt. Der AK Asyl, Rüdiger Mey und Bärbel Schmidt waren nicht ganz zufrieden, da das vorübergehende Zuhause für Singles, Familien und Ehepaare nur aus einfachsten und billigsten Standards bestand.

Nach zähen Verhandlungen wurde je ein Raum an die Asylbeauftragte und die Mitwirkenden des Arbeitskreises als Büro abgegeben. Im Mai 2015 zogen die ersten Geflüchteten ein. Schon im August 2015 bewohnten anstatt der geplanten 150, 200 Personen die bereits viel zu kleine Unterkunft. Ein neue Gemeinschaftsunterkunft musste her. Zum Glück erklärte sich der neue Eigentümer des ehemaligen Hotels in der Bunsenstraße 3 bereit, es ebenfalls für Geflüchtete umzubauen. Das gelang in diesem Fall viel besser als im Nachbarhaus. Vielleicht weil die Grundlage eine bessere war und so mehr auf die Bedürfnisse der geflüchteten Menschen eingegangen werden konnte.

2014 stellte die Stadt nicht nur weitere sechs Wohnungen aus ihrem Bestand für die Unterbringung von Geflüchteten dem Kreis zur Verfügung, Bärbel Schmidt und Rüdiger Mey hatten in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis auch die Teambildung abgeschlossen. So fand jeder der freiwilligen Helfenden einen passenden Platz in einem der nachfolgend aufgeführten Gruppen. Jedes Team bestimmte seinen Teamsprecher*in, die sich in regelmäßigen Abständen trafen. So war Arbeiten mit-, anstatt gegeneinander möglich.

Einteilung des Arbeitskreises in Gruppen/Teams

Begrüßung,

Behördenbegleitung und Recht,

Ausbildung und Arbeit,

Integration und Kultur,

Sport, Vereine und Freizeit mit Sport Coaches,

Paten,

Deutschunterricht,

Verkehrstraining,

Öffentlichkeitsarbeit,

Sachspenden mit Schneiderei,

Sprach Café

Fahrräder

Im gleichen Jahr hatten Christel Johann-Eggers und Wieland Eschenhagen mit Unterstützung vieler weiterer Ehrenamtlicher und Rüdiger Mey, den Förderverein Asyl Griesheim gegründet. Er wurde in Rekordzeit als gemeinnütziger Verein vom Gericht bestätigt, was nicht zuletzt an Charlotte Mania, der Juristin im Arbeitskreis Asyl lag, deren Erfahrung mit entsprechenden Gesetzen und den Gerichten unbezahlbar war. Dieser Verein hat u. a. die Möglichkeit, Spenden entgegenzunehmen und Fördermittel zu beantragen. Diese Gelder erleichtern den Teams die Arbeit und geben ihnen die Möglichkeiten für Anschaffungen, wie Lehrmaterialien, Fahrradzubehör etc. Sie waren mit dem „Geld heranschaffen“ nicht allein. Auch das Sachspenden Team nahm in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Helferkreis und einzelnen Helfer*innen aus anderen Teams, an Flohmärkten teil, wo sie unter anderem von Helfernden und Geflüchteten selbstgenähte Taschen und Kissenhüllen, Schürzen und Topflappen verkauften.

 

Im Mai 2015 war Bärbel Schmidt komplett für die Flüchtlingsarbeit freigestellt worden, und zog bereits im Oktober desselben Jahres in eines der Büros der Bunsenstraße 5. Die Paten des Arbeitskreises Asyl hatten ihr Büro im 1. Stock der Unterkunft bezogen und Sprechstunden für die Bewohner*innen eingeführt Es lag praktischerweise direkt neben dem des SKA.

Um auch die interessierten Menschen der Stadt Griesheim über die Integration der neuangekommenen Pesonen und die Arbeit der ehrenamtlichen Helfenden zu informieren, erstellte Albert Dauscher mit Unterstützung des Fördervereins Asyl eine Homepage für und über den Arbeitskreis sowie den Förderverein. Hier konnte sich jeder die Informationen holen, die interessierten und die einzelnen Teams Berichte und Fotos ihrer Arbeit einstellen, Suchanfragen schalten oder weitere Öffentlichkeitsarbeit betreiben.

Ein „Tag der offenen Tür“ in der Bunsenstraße 5, der den noch Skeptischen die Angst vor der Gemeinschaftsunterkunft nehmen und Interessierten Einblick in die Wohnsituation der neu Angekommenen geben sollte, wurde leider nur von einigen wenigen genutzt.

2016 waren dann auch die Arbeiten im und am Gebäude Bunsenstraße 3 beendet und 85 Geflüchtete zogen gleichzeitig ein. Das war ein Tohuwabohu und brachte den Hausmeister und die Paten des Arbeitskreises an ihre Grenzen.

Mittlerweile hatte der SKA (sozialkritischer Arbeitskreis) im Auftrag des Landkreises Darmstadt-Dieburg die Betreuung der Menschen vor Ort übernommen und ebenfalls je ein Büro in der Bunsenstraße 5 und 3 erhalten. Auch sie hatten am Tag der Zuweisung der 85 Menschen alle Hände voll zu tun.

In beiden Unterkünften stellten die Müllentsorgung und der Respekt vor fremdem Eigentum ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Nicht weil die geflüchteten Menschen die Anpassung verweigerten, sondern weil sie es einfach nicht verstanden. Auch die Nutzung der Toiletten und Duschen war für die Zugereisten kein einfaches Unterfangen. Schließlich waren viele es aus ihrer Heimat gewohnt, beim Verrichten ihrer „Geschäfte“ zu stehen. Sitztoiletten galten eher als unhygienisch. Genau wie die Nutzung von Toilettenpapier. Das war in ihren Heimatländern völlig unbekannt. Schließlich war die Reinigung mit Wasser viel effektiver und auch sauberer. Aber natürlich nicht für die sanitären Anlagen, die ungereinigt die ungewohnte Nutzung über sich ergehen lassen mussten. Es waren schließlich Abläufe da, die das Wasser und restliche Fäkalien aufnehmen würden. Duschköpfe waren vielen Geflüchteten fremd, so montierten sie diese kurzerhand mehr oder weniger fachmännisch ab, um das Wasser wie gewohnt aus einem Schlauches zu nutzen. Entsprechend sahen nach kurzer Zeit die gemeinschaftlich genutzten sanitären Anlagen aus. In der Bunsenstraße 3 hatte jedes mit zwei Personen bewohnte Zimmer sein eigenes Bad (ehemaliges Hotel), so dass dort das Toiletten und Duschen Problem nicht ganz so groß war. Zumindest, was die Sauberkeit betraf. Die Geflüchteten hatten keinen einfachen Stand, da ihr für sie normales Verhalten auf keine große Gegenliebe stieß. Im Laufe der Jahre lernten alle Beteiligten und es legten sich die meisten Probleme, ganz werden sie aufgrund der doch zu unterschiedlichen kulturellen Gewohnheiten nicht verschwinden.

Der Arbeitskreis Asyl schlug sich tapfer: Der Deutschunterricht beispielsweise lief mittlerweile sogar in eigenen Schulungsräumen, die von der Stadt Griesheim und dem Landkreis angemietet worden waren,.Das Team Sport und Freizeit tat sein Bestes und versucht Sportwillige in Vereinen unterzubringen und sie mit dem Vereinsleben vertraut zu machen. Die Griesheimer Sportvereine zeigten sich dabei sehr hilfsbereit und kooperativ.

Das Sachspendenteam boomte und als die ersten Gemeinschaftsunterkunftsbewohner eigene Wohnungen fanden, blieb es nicht nur beim Verteilen von Kleidungsstücken und Haushaltsgegenständen, sondern die Ehrenamtlichen wurden bei Haushaltsauflösungen tätig und halfen beim Transport von größeren Möbelstücken. Zwischenzeitlich konnte die Stadt Griesheim zusammen mit dem Landkreis die Räumlichkeiten der ehemaligen Diskothek „Cozy Shack“ anmieten, wo wirklich alle Sachspenden unterkamen und professionell, u. a. in gespendeten Messeregalen etc., einsortiert wurden. Sogar ein Platz „für den Kaffee zwischendurch“ und eine kleine Schneiderwerkstatt konnten von dem großen Raum abgezwackt werden und für Besprechungen und Feiern blieb auch noch Platz. Das Fahrradteam versuchte erfolgreich, für alle neu angekommenen Geflüchteten gebrauchte Fahrräder zu besorgen und bekam sogar in der Bunsenstraße 5 ein Stück des Kellers zur Verfügung gestellt, um eine Werkstatt mit kleinem Lagerraum einzurichten. Der ein oder andere junge Mann aus Afrika ging den Ehrenamtlichen ganz gerne mal zur Hand. Es gab sogar zwei Arbeitskreismitglieder, die – meistens den Frauen – das Fahrradfahren beibrachten und kleine Radtouren für die Männer organisierten. Das Team Behördengänge setzte sich mehr oder weniger erfolgreich mit den Ämtern zum Wohle ihrer Schützlinge auseinander und ging auch kleineren (und größeren) Auseinandersetzungen mit den Behördenmitarbeitern nicht aus dem Weg.

So zog sich das durch alle Teams, die einen hervorragenden Weg gefunden hatten, den geflüchteten Menschen zu helfen ein respektierter und integrierter Teil Griesheim zu werden – wenn auch mit zahlreichen Rückschlägen. Doch ans Aufgeben dachten sie nicht (…sehr oft)

Der arme Landkreis: Er war verständlicherweise mit allem einfach überfordert. Ob das am fehlenden Personal lag, an den bestehenden Gesetzen oder einfach daran, dass nicht über den Tellerrand hinaus nachgedacht wurde/werden durfte?

Und auch der Betreiber der zuerst fertiggestellten Gemeinschaftsunterkunft in der Bunsenstraße 5, kam an seine Grenze. Teils, weil er aus Sicht der Betroffenen beratungsressistent war, teils weil die Ausgaben auf keinen Fall über den Einnahmen liegen durften. Einhellig waren Rüdiger Mey, Bärbel Schmidt und der Arbeitskreis sich einig, dass der Betreiber, wie auch der Landkreis, mit mehr Investitionen weniger Ärger gehabt hätte. Komisch nur, dass im Nachbargebäude, alles sehr viel reibungsloser ablief, trotz der durch unterschiedliche kulturelle Gewohnheiten bedingten Probleme der Bewohnern*Innen, die schließlich in beiden Häusern bestanden.

Während sich nach und nach an allen Ecken und Enden Unzufriedenheit zusammenbraute, übernahm Bärbel Schmidt (freiwillig) mit ihren Bufdis (Bundesfreiwillige) die Verteilung der Krankenscheine an die versicherten Geflüchteten, was eigentlich dem Landkreis oblag. Nach Rücksprache mit Rüdiger Mey, der Stadt und dem Landkreis konnten sie zeitnah loslegen. So fielen für die Bewohner der Gemeinschaftsunterkünfte in Griesheim die Fahrten zum Sozialamt nach Dieburg weg, wo sie bis dahin ihre Krankenscheine abholen mussten. (Die Büroräume des Sozialamtes waren damals dort, wegen Umbauarbeiten in Darmstadt, zwischengeparkt)

Die Teams des Arbeitskreises Asyl wuchsen derweil auf vorübergehend 12 Teams. Die Räumlichkeiten des Deutschunterricht Teams platzte aus allen Nähten, so dass nach einer Lösung gesucht werden musste. Schließlich mietete die Stadt zusammen mit dem Landkreis Räumlichkeiten gegenüber der Blue-Box an, die vom Besitzer der dazugehörigen Autowerkstatt gerade fertiggestellt worden waren. Zwei Unterrichtsräume mit Kleinküche und je einem kleinen Bad waren ideal für den Unterricht und konnten auch von anderen Teams, wie auch dem Landkreis genutzt werden. Entsprechende Pläne waren erstellt und wurden von den einzelnen Lehrern geführt, so dass sich niemand in die Quere kam.

Sogar eine Reinigungskraft wurde eingestellt, die sich nicht nur um die Sauberkeit der Unterrichtsräume, sondern auch um die Büros des AK Asyl und der Stadt in den Gemeinschaftsunterkünften kümmerte.

Rüdiger Mey und Bärbel Schmidt waren fleißig damit beschäftigt, den ehrenamtlichen Mitwirkenden des Arbeitskreises alle Steine aus dem Weg zu räumen, die ihre Arbeit behindern könnten. Sogar persönliche Ehrenamtsausweise wurden erstellt, damit sie sich, z. B. bei Museumsbesuchen mit den Geflüchteten, ausweisen konnten und so auch für sie Eintrittskosten entfielen. Später sollten sie sogar hilfreich sein, als der Kreis mit Hausverbot für die Ehrenamtlichen drohte, die keine Aufgaben in den Gemeinschaftsunterkünften übernommen hatten. Das ging nicht nur wegen Personalmangels seitens des Landkreises ziemlich in die Hose.

Unbeeindruckt von dem, was im Hintergrund geschah, organisierten die Ehrenamtlichen u.a. Deutschunterricht für Frauen und die dafür notwendige Kinderbetreuung, Kletter- und Schwimmkurse für Frauen, Fußballspiele für Männer, Unterhaltung für Kinder, Nachhilfe für Schüler*innen, alle möglichen Hilfen zur Selbsthilfe und vieles – hier unerwähntes – mehr.

Zwischenzeitlich war es so, dass der Betreiber der B 5 gegen die Stadt, den Kreis und den AK Asyl mit Vorwürfen akierte. Der Kreis wiederum kritisierte den Betreiber und einige Mitwirkende des Arbeitskreises. Mit der Einführung eines „runden Tisches“, an dem alle Beteiligten (auch die Polizei, die einmal pro Woche den Bewohnern und Betreuern in den Gemeinschaftsunterkünften als Ansprechpartner zur Verfügung stand), einmal im Monat teilnehmen sollte, versuchte die Stadt, alle Parteien zu versöhnen, in dem sie diese dazu brachte, miteinander REDEN. Zunächst vergeblich! Die Seiten verhärteten sich immer mehr.

Das ging so weit, dass der Landkreis beschloss, die Betreuung der Geflüchteten den Städten und Gemeinden zu überlassen und lediglich die Finanzierung zu übernehmen. Mit Hilfe der vier führenden Mitwirkenden des Arbeitskreises und dem zwischenzeitlich gegründeten Förderverein, der Stadt, der Politik und eines zeitaufwändigen und teuren Ausschreibungsverfahrens, übernahm der SKA im Auftrag der Stadt Griesheim weiterhin die bewährte Betreuung der Neuankömmlinge … und der Landkreis übernahm die Kosten. Zumindest in Griesheim änderte sich dadurch an der Betreuung zunächst nichts, außer dass die Mitarbeitenden des SKA freiere Hand hatten und mehr Unterstützung erfuhren.

Wer jedoch dachte, dass jetzt alles reibungslos laufen würde, sah sich enttäuscht. Bärbel Schmidt reduzierte die Zusammenarbeit mit dem Kreis auf ein Mindestmaß. Und auch Rüdiger Mey merkte mehr und mehr, wie sinnlos es war, mit der Führung des Kreissozialamtes auf einen Nenner kommen zu wollen. Dank der unerschöpflichen Energie der Eheleute Johann-Eggers, Wieland Eschenhagen und einem kleinen weiteren Kreis aus dem Team der Ehrenamtlichen, wurden immer mehr kleinere und größere Erfolge für die Geflüchteten erzielt. Das lag nicht zuletzt daran, dass sie weitaus mehr Möglichkeiten hatten (Presse etc.), als die Stadt selbst.

Die Unterstützung durch die damalige Bürgermeisterin, Gabriele Winter, war enorm. Diese Unterstützung blieb auch nicht aus, als Bürgermeister Krebs-Wetzel die Führung übernahm und Klaus Rinnecker als 1. Stadtrat das Amt des Vorsitzenden des Arbeitskreises Asyl. Rüdiger Mey übergab ihm die Unterlagen und stand dem Arbeitskreis Asyl weiterhin im Team Sport und Klaus Rinnecker als Berater zur Verfügung.

Rüdiger Mey staunte nicht schlecht an der letzten Teamsprechersitzung, die unter seinem Vorsitz stattfand, als Wieland Eschenhagen ihm mit einer kleinen Rede für seine Unterstützung dankte. Darin erwähnte er u.a. Rüdiger Meys klare Worte, die er nie gemieden hatte, die vielen persönlichen Kontakte, die er zum Öffnen einiger Türen verwendete und dass er immer fest zugepackte, wenn es nötig war. Durch seine gelebte Solidarität habe er niemanden im Regen stehen lassen und an vorderster Stelle (nicht nur) den Geflüchteten viele Wege geebnet.

Bärbel Schmidt bereitete sich derweil auf ihren Ruhestand vor, der mit der Ruhephase der Altersteilzeit am 1.10.2018 beginnen sollte. Ein Nachfolger*In musste her. Wie gut, dass der Leiter des SKA-Teams Griesheim sich mit dem Gedanken trug, sich beruflich zu verändern. Als Soziologe und mit seiner Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit, brachte er beste Voraussetzungen für diesen Job mit. Am 1.8.2018 übernahm er die Nachfolge von Frau Schmidt, so dass noch genügend Zeit für eine umfangreiche Einarbeitung blieb.

Jeden Tag waren Bärbel Schmidt und Rüdiger Mey sich bewusst, was das große Engagement der ehrenamtlichen Helfenden des Arbeitskreises Asyl und auch des ökumenischen Helferkreises für die Flüchtlingsarbeit und die Stadt Griesheim bedeutet. Dass ohne sie vieles anders gelaufen wäre und dieser wertvolle Einsatz alles andere als selbstverständlich war. Das wollten sie unbedingt mit einer eigens für die ehrenamtlich tätigen Menschen organisierte Feier würdigen. So stellte die Stadt kostenfrei den Saal des Bürgerhauses St. Stephan zur Verfügung und organisierte ein großes Fest für die unermüdlichen Helfenden, bei dem mit Speisen und Getränken nicht gespart wurde. Sogar ein kleines Programm kam zustande, das für einen abwechslungsreichen Abend sorgte. Mitarbeitende der Stadt hatten freiwillig die Bewirtung der Gäste übernommen und Griesheimer Vereine das kleine Programm. Auch sie wollten so ihre Wertschätzung zum Ausdruck bringen.

Das dritte Fest fand 2018 statt. Und plötzlich fand Bärbel Schmidt sich zu Tränen gerührt auf einem Stuhl inmitten der Gäste wieder und staunte über die Darbietungen, Geschenke und Abschiedskarten der einzelnen Teams und sogar der Kinder aus der Bunsenstraße, die sie ihr zu Ehren einstudiert und zusammengestellt hatten. Dieses Helferfest war nicht nur der Abschluss Bärbel Schmidt‘s Berufsleben, sondern auch der Ära „Mey/Schmidt“. Glücklicherweise aber nicht die Ära des Arbeitskreises Asyl, dessen Mitwirkende noch heute unermüdlich ihre Freizeit der Aufnahme geflüchteter Menschen in unsere Gesellschaft opfern.

Persönliche Anmerkung

Zurückblickend auf fünf aufregende Jahre in der Arbeit mit Geflüchteten, Ehrenamtlichen, Behörden und Bürgern unserer Stadt, habe ich für mich eines festgestellt: Integrieren müssen sich nicht die Menschen, die aus uns fremden Kulturkreisen und aus für uns unvorstellbar schlimmen Gründen in Länder flüchten, deren Kultur ihnen vollends fremd ist. WIR müssen sie in unser Leben und unsere Kultur mit einbeziehen/integrieren. So lange WIR uns jedoch nicht bemühen, die Geflüchteten kennenzulernen und uns über ihre kulturellen Gewohnheiten zu informieren, sie zu respektieren und akzeptieren, wird eine Integration niemals möglich sein. Selbst dann nicht, wenn die Neubürger*innen perfekt Deutsch sprechen, arbeiten gehen und ihre Kinder mit unseren Kindern dieselbe Schule besuchen. Erst wenn jeder von uns das verstanden hat und bereit ist, an sich zu arbeiten, kann auch „die Politik“ etwas verändern.