Hallo alle, schön dass wir heute hier zusammenkommen können.

Mein Name ist Stefan, ich arbeite ehrenamtlich beim Verein Vielbunt in Darmstadt. Im Jahr 2015 haben wir das Beratungs- und Begleitungsprojekt Rainbow Refugees ins Leben gerufen, das wir mittlerweile in Kooperation mit der AIDS-Hilfe Darmstadt durchführen. Ich danke dem Asylkreis Griesheim für die Gelegenheit, hier heute zu sprechen.

Wir unterstützen lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Geflüchtete. Die Angehörigen dieser Zielgruppe sind sehr verschieden und finden auf unterschiedlichsten Wegen zu uns. Sie alle eint jedoch, dass sie nicht allein mit allgemeinem Beratungsbedarf bezüglich Flucht und Asyl zu uns kommen, sondern auch weil sie spezifische Problemlagen rund um sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität umtrieben.

2015, als viele Menschen vor einer sich selbst „Islamischer Staat“ bezeichnenden Terrororganisation flüchten mussten, waren hierunter auch viele Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transidente Menschen. Sie kamen aus Syrien, Afghanistan und Irak. Länder in denen das was sie sind, verboten ist. Länder in denen sie diskret bleiben, sich verleugnen und verstecken mussten.

An die neuen Freiheiten, die ein Leben in Europa ihnen bietet, mussten sich einige erst gewöhnen. Heute nach beinahe 6 Jahren sind viele von ihnen zu selbstbewussten und stolzen Frauen und Männern geworden, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingehen, ihre Leben leben und sich in unserer Community einbringen. Das ist eine wunderbare Entwicklung. Jedoch ist das nicht allen gegönnt.

In 69 Staaten - also etwa  einem Drittel der Länder weltweit - werden homosexuelle Handlungen strafrechtlich verfolgt. In Somalia, Iran, Afghanistan, Pakistan, Nigeria und sechs weiteren Ländern steht hierauf sogar die Todesstraße. Homosexuelle und Transsexuelle die aus diesen Gesellschaften flüchten und  den Weg hier her schaffen, können sich dennoch nicht sicher sein, dass Deutschland für sie ein sicherer Hafen ist:

Zu oft kommt es vor, dass ihnen ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität nicht geglaubt wird. Junge Männer, die gelernt haben, dass sie ihre Homosexualität vor Kolleginnen, Familien, Nachbarn und vor allem vor Behörden geheim halten müssen, um zu überleben sind in Deutschland mit dem Problem konfrontiert, dass sie genau das Gegenteil erbringen müssen: Sie müssen vor einem Behördenvertreter plötzlich beweisen, dass sie schwul sind. Und das fällt ihnen sehr schwer: Für das, was sie ein Leben lang nicht aussprechen durften, fehlen oft die Worte. Zudem kann die über Jahre in den Körper eingeschriebene Angst vor Diskriminierung, Gewalt und Strafe mit dem Grenzübertritt nicht einfach abgestreift werden. Die bleibende Angst ist auch berechtigt. Immer wieder kommt es zu Fällen, in denen BAMF-Entscheiderinnen die Homosexualität von Asylsuchenden infrage stellen, weil sie homofeindliche Klischees im Kopf haben, immer wieder kommt es zu Fällen, in denen Asylantragsteller bei der Anhörung von Übersetzerinnen und Übersetzern beschimpft, diskriminiert oder bewusst falsch übersetzt werden. Wir brauchen eine sensible und professionelle Anhörungspraxis im Asylsystem, die homosexuellen, bisexuellen und transidenten Geflüchteten, die Chance geben, sich ohne Angst zu öffnen. Sie haben ihre Heimat nicht verlassen, um hier weiter diskriminiert zu werden.

Ebenso kennen wir Fälle, in denen Asylsuchenden ihre sexuelle Orientierung zwar geglaubt wird, sie jedoch trotzdem einen Ablehnungsbescheid erhalten. 2016 kam Vladi aus der Ukraine mit einer verlorenen Klage vor dem Verwaltungsgericht in meine Beratungsstunde: Das BAMF glaubte ihm zwar, dass er schwul ist. Ebenso konnte er beweisen, dass er von rechtsradikalen Homohassern fast zu Tode geprügelt wurde. Dennoch wurde sein Asylantrag abgelehnt, weil es in der Ukraine keine staatliche Homosexuellenverfolgung gibt. Diese Entscheidung wurde vom Verwaltungsgericht bestätigt: Da in der Ukraine jährlich nur 6 Schwule umgebracht werden war nach Ansicht des Gerichts der Verfolgungsdruck nicht ausreichend hoch. Vladi, der selbst beinahe ermordet wurde und deshalb Asyl in Deutschland beantragt hatte, erhielt die Aufforderung zur Ausreise kurz nach dem Gerichtsurteil. 

Ähnliches widerfuhr Sam aus Jamaika. Sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Das jamaikanische Strafgesetz sieht zwar bis zu 10 Jahre Gefängnis für Sex zwischen Männern vor. Jedoch kam es in den letzten Jahren kaum zu Verurteilungen. Sowohl das BAMF als auch das Verwaltungsgericht ignorierten jedoch die Tatsache, dass die Verfolgung von sexuellen Minderheiten in Jamaika nicht vom Staat übernommen wird, sondern von der Bevölkerung. Der Hass  auf Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transidente ist in Jamaika so groß und so verbreitet, dass diese als Freiwild gelten. Sänger  und Politiker rufen zu ihrer Ermordung auf, Nachbarn stürmen nachts mit Messern bewaffnet die Häuser von Lesben und Schwulen und brennen diese dann mitsamt den verblutenden Bewohnerinnen nieder. Von der Polizei ist keine Hilfe, sondern Verfolgung bis hin zu Folter zu erwarten. In der Woche in der Sam abgeschoben wurde,  wurde eine transsexuelle Frau auf offener Straße erschossen. Die Täter wurden nie gefunden. Wahrscheinlich weil sie niemand gesucht hat. Ich könnte noch mehr erzählen, von Fabrice und Emile aus Nigeria, von Nala aus dem Iran oder Mahmud aus Somalia. Sie alle sind hier her gekommen, in der Hoffnung hier Frieden und Sicherheit zu finden. Und sie alle mussten erleben, dass der Schrecken selbst in Deutschland nicht aufhört: Diskriminierung, Traumatisierung, Existenzängste, Gewalt, Homophobie, Marginalisierung, bis hin zu Abschiebung.

Wir können als ehrenamtliche Beraterinnen und Unterstützerinnen nur wenig ausrichten.

Was uns und denen, die zu uns kommen jedoch wirklich helfen würde, wäre eine Gesellschaft, die geflüchtete Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans mit offenen Armen aufnimmt, ein faires Asylsystem ohne Misstrauen und Argwohn, ein Ende von Diskriminierung, Schluss mit Homophobie und Schluss mit Rassismus.  

Vielen Dank.